Alma Mahlers Reaktion auf Gustav Mahlers todbringende Erkrankung

Mein Lieb — Ich habe lange geschwiegen – mein Grund war ein trauriger. Gustav ist seit 3 Wochen ernst krank (AM60). Mit diesen Worten brach am 11. März 1911 nach über drei Wochen ihr Schweigen gegenüber . Am 20. Februar war mit Fieber und Halsschmerzen erwacht, bestand aber darauf, das am 21. Februar geplante Konzert mit den New Yorker Philharmonikern in der Carnegie Hall selbst zu dirigieren (vgl. , S. 236 mit , S. 311). Die anfänglich noch für rheumatisches Fieber (AM60) gehaltene Krankheit verbesserte sich zunächst, um danach umso heftiger zurückzukehren. , Freund und Arzt , veranlasste medizinische Untersuchungen, die eine subakute bakterielle Endokarditis ergaben, hervorgerufen durch eine Streptokokkeninfektion (zum bakteriologischen Bericht des Internisten und dessen Assistenten s. , S. 1629f.). Die Herzklappen versagen hierbei nach und nach ihren Dienst. Bei angeborenem doppelseitigem Herzfehler (, S. 155) wog diese Diagnose doppelt schwer.

Die Erkrankung wird im Briefwechsel zwischen und über einen Zeitraum vom 11. März bis 7. Mai 1911 thematisiert. Schon vorher schrieb aus den USA selten an . Zudem verhinderten die langen Postlaufzeiten zwischen New York und Berlin von 8 bis 13 Tagen, über den sich rasch ändernden Zustand aktuell und ausführlich zu berichten. war es ohnehin äußerst wichtig, den bedenklichen Gesundheitszustand so lange wie möglich geheim zu halten. In ihrem für sie typischen Schreibstil mit vielen Unterstreichungen schrieb sie schon in AM60: Ich bitte Dich aber dringend, niemandem etwas davon zu sagen – ich will nicht, dass es erfahren wird, und betonte in ihrem nächsten Brief an ihre Bitte nochmals: Sage Keinem, dass Du um G[ustav]s Krankheit weißt. Niemand soll Genaues darüber wissen (AM61 vom 19. März 1911). Die Geheimhaltung, unter anderem gegenüber der österreichischen Presse, gelang bis zum 24. März, als in Wiener Zeitungen berichtet wurde, dass nicht in der Lage sei, geplante Konzerte in Paris zu dirigieren (s. etwa ). Ab dem 20. April berichtete die Neue Freie Presse ein bis zwei Mal pro Tag über den Gesundheitszustand (, S. 1250). Vor der amerikanischen Presse ließ sich Erkrankung allerdings nicht lange verheimlichen. Die New York Times berichtete ab dem 25. Februar – noch vor AM60 und der österreichischen Presse – regelmäßig über ihn, ging aber von einer Grippe in unterschiedlich schweren Stadien aus (s. , , , ).

Während Krankheit wuchs in der Pflege über sich hinaus, sie konnte Unmenschliches leisten (AM62 vom 25. März 1911) und verließ wochenlang das Apartment nicht (s. AM60). Durch ihre Briefe an entfloh dieser erdrückenden Situation und träumte sich in vergangene gemeinsame Treffen: AM63 (zwischen 26. und 30. März 1911) ist der erste Brief nach dem Ausbruch von Krankheit, der diese nicht primär thematisierte. wandte sich wieder vermehrt emotional zu.

Wie bereits bei anderen schwierigen Situationen in ihrem Leben – wie dem Tod ihrer Tochter im Juli 1907 und der Ehekrise im Sommer 1910 – bat ihre um Unterstützung. kam am 31. März in New York an (AM64 vom 26. April 1911, Anm. B) und zusammen pflegten sie , lebten im Krankenzimmer (AM64 vom 26. April 1911) und bekamen von der äußeren Welt wenig mit. Am 17. April kam die Familie Mahler mit (AM63 vom 26. und 30. März 1911, Anm. A) nach einer elftägigen Überfahrt von New York aus in Paris an und wurde dort in einem Hotel untergebracht. Aufgrund des schlechten Zustands erfolgte eine schnelle Verlegung in das Sanatorium Defaut (AM64, Anm. A). Dort in Neuilly-sur-Seine, einem Vorort von Paris, fand schließlich Zeit, einen längeren Brief an zu schreiben (AM65), in welchem sie sich seiner Liebe versicherte und nicht mehr namentlich erwähnte. Dabei thematisierte in AM66 vom 7. Mai 1911 auch ihre eigenen Bedürfnisse: Langsam fange ich wieder an, an mich zu denken […]. Ich hatte die letzten Monate ein Gefühl von Sünde – wenn ich nur an irgend eine Freude für mich – von Weitem – dachte. Im Pariser Sanatorium verschlechterte sich Zustand stetig und in der Nacht des 11. Mai wurde er, unter ärztlicher Betreuung, mit seiner Familie mit dem Orient-Express zurück nach Wien gebracht und dort am 12. Mai in das Sanatorium Loew eingeliefert (, S. 1629f.). Am 14. Mai erkrankte zusätzlich an einer Lungenentzündung, am 17. Mai fiel er ins Koma und starb am Tag darauf, am 18. Mai (, S. 1630; vgl. ).

Nach dem Verlust ihres wurde schwer krank (Ich hatte täglich abends gefiebert[,] ohne es zu bemerken, AM69 vom 8. Juni 1911) und nahm nicht an der Beerdigung am 22. Mai auf dem Grinzinger Friedhof teil (). Den nächsten Brief an schrieb sie am 31. Mai 1911 (AM67) vom Sanatorium Semmering aus, das sie wahrscheinlich am 27. Mai 1911 bezogen hatte (s. AM67, Anm. A). Aber erst in AM68 vom 3. Juni 1911 fing sie an, die Geschehnisse der letzten Monate zu reflektieren und zu verarbeiten, begann nicht mehr als todkranken Menschen in Erinnerung zu behalten, sondern immer lebensvoller – lebender. Und sie plante den restlichen Sommer mit Gästen, darunter auch , in Toblach zu verbringen, weil sie sich aus Selbsterhaltungstrieb nicht in die Einsamkeit begeben wollte (AM69).

Elke Steinhauser